Für eine konsequent an den Menschenrechten orientierte Migrations- und Entwicklungspolitik

Für eine konsequent an den Menschenrechten orientierte Migrations- und Entwicklungspolitik

Weltweit tätige Ordensgemeinschaften schreiben an Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl am 23. Februar.

Bonn. Zu einer konsequent von den Menschenrechten her gedachten Migrations- und Entwicklungspolitik, die die langfristigen Interessen der Menschen im Globalen Süden und Norden ernst nimmt, ruft die Konferenz missionierender Orden (KMO) auf. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen innenpolitischen und europäischen Debatten zum Thema Asyl und Migration hat sich der Zusammenschluss in der Weltkirche tätiger Ordensgemeinschaften in Deutschland aus Anlass der Bundestagswahlen am 23. Februar 2025 mit einem offenen Brief an die Kanzler- und Spitzenkandidaten von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, AfD, Die Linke und BSW gewandt.

Die Ordensgemeinschaften erinnern daran, dass nur ein Bruchteil der Menschen, die im Globalen Süden ihre Heimat verlassen müssen, die Migration nach Europa beabsichtigt: „Die meisten von ihnen fliehen in benachbarte Länder, die einen deutlich höheren Migrationsdruck auffangen und verarbeiten müssen als die Staaten Europas.“

Diesen Menschen gilt die besondere Aufmerksamkeit der in der KMO zusammengeschlossenen weltweit tätigen Ordensgemeinschaften. Die Flüchtlinge seien die Leidtragenden einer Entwicklung – etwa der Auswirkungen des Klimawandels –, für deren Entstehen „auch wir im Globalen Norden mitverantwortlich waren und sind“, heißt es in dem von der KMO-Vorsitzenden Ursula Schulten sowie den Vorstandsmitgliedern Salesianerpater Reinhard Gesing und Don-Bosco-Schwester Birgit Baier unterzeichneten Schreiben.

Die Ordensgemeinschaften rufen die Spitzenkandidaten dazu auf, öffentlich zu der historischen Verantwortung Deutschlands für die Unterstützung des Globalen Südens zu stehen und die Menschen, deren elementare Rechte verletzt würden, zu unterstützen. Sie fordern, den menschengemachten Anteil am Klimawandel ernst zu nehmen: „Haben Sie den Mut, die Menschen in unserem Land mit der wissenschaftlich gut begründeten Wahrheit zu konfrontieren, dass wir als Menschheit gerade dabei sind, die Überlebensbedingungen für Millionen und Milliarden Menschen zu gefährden und dass damit auch unser Wohlstand in Gefahr ist.“ Die Ordensgemeinschaften in der KMO seien ihrerseits bereit, „die notwendige sozial-ökologische Transformation“ mit ihren Kräften „im Dienst der Menschen in unserem Land und in den Ländern des Globalen Südens zu unterstützen“.

Der Brief der Konferenz missionierender Orden (KMO) vom 23. Januar 2025 steht unten im Wortlaut zum Verfügung. Die KMO ist ein Zusammenschluss von 92 weltweit tätigen Ordensgemeinschaften innerhalb der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK). Ihre Mitglieder sind vor Ort an der Seite der Menschen, kennen Probleme und erleben die Folgen der Klimaveränderung unmittelbar. Die DOK vertritt die Interessen der Ordensgemeinschaften in Deutschland mit rund 10.200 Ordensfrauen und rund 3.200 Ordensmännern, die in etwa 1300 klösterlichen Niederlassungen leben.

 

Der Brief im Wortlaut:

„Bonn, 23. Januar 2025

Sehr geehrte …,

als Verantwortliche aus international tätigen katholischen Ordensgemeinschaften wissen wir aus unserer Präsenz in vielen Ländern des Globalen Südens, dass dort die Auswirkungen des Klimawandels schon jetzt deutlich stärker zu spüren sind als in vielen Teilen Europas und bei uns in Deutschland. Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen, Erdrutsche und vieles mehr erschweren Menschen das Leben, ja Überleben. Der rapide fortschreitende Klimawandel wird immer mehr zu einer zentralen Ursache für Fluchtbewegungen und Migration. Unsere Mitschwestern und Mitbrüder in den betroffenen Regionen erleben dies hautnah.

Nur ein Bruchteil der Menschen, die im Globalen Süden ihre Heimat verlassen (müssen), beabsichtigt die Migration nach Europa. Die meisten von ihnen fliehen in benachbarte Länder, die einen deutlich höheren Migrationsdruck auffangen und verarbeiten müssen als die Staaten Europas. Viele Träger der Entwicklungszusammenarbeit, darunter auch wir Ordensgemeinschaften, leisten mit ihrer Arbeit vor Ort schon jetzt einen Beitrag zur Bewältigung der Auswirkungen von Klimawandel und Migration.

Migration aufgrund des Klimawandels und der damit verbundenen Folgen wird weiter zunehmen. Um Akzeptanz dafür zu schaffen, muss deutlich benannt werden: Nicht die Flüchtlinge sind das Problem! Sie sind vielmehr die Leidtragenden einer Entwicklung, für deren Entstehen auch wir im Globalen Norden mitverantwortlich waren und sind. Die Staaten des Globalen Südens brauchen unsere finanzielle Unterstützung zur Anpassung an den Klimawandel. Die jüngste Weltklimakonferenz in Baku im November vergangenen Jahres hat erneut in ernüchternder Weise gezeigt, wie weit der Bedarf im Globalen Süden einerseits und die Bereitschaft der reichen Staaten zur Leistung von Unterstützung andererseits auseinanderklaffen.

All dies ist in vielerlei Hinsicht ein Skandal, denn letztlich beruht unser Reichtum im Globalen Norden auf der Übernutzung und Verschmutzung natürlicher Ressourcen sowie der Ausbeutung im Globalen Süden während der letzten 200 Jahre.[1] Die Länder des Globalen Südens profitieren bis heute nicht angemessen von den Gütern dieser Welt, die laut der Katholischen Soziallehre dem Wohlergehen aller dienen sollen.

Große Sorge bereitet uns auch, dass Migration in der politischen Debatte in Deutschland, wie auch bei unseren europäischen Nachbarn, in erster Linie als Problem begriffen wird. Wer keine Flüchtlinge will, muss mehr für die Fluchtursachenbekämpfung tun. Wenn gut begründete Prognosen stimmen und in 50 Jahren die Lebens- und Versorgungsbedingungen für ca. ein Drittel der Menschheit in ihren traditionellen Siedlungsräumen unerträglich werden, kommen Migrationsbewegungen in Gang, die alles Bisherige in den Schatten stellen. Hier geht es neben globaler Solidarität und Gerechtigkeit auch um ein wirtschaftliches Interesse der Länder des Nordens, denn in einer derart destabilisierten Welt werden Handelspartner und Absatzmärkte wegbrechen.[2]

Entsprechend ist der Globale Norden aus moralischen, historischen und eigennützigen Gründen aufgerufen, konsequent das Ende der Nutzung fossiler Energien zu verfolgen und dem Globalen Süden angemessene Unterstützung bei der Anpassung an den Klimawandel zu leisten. Deutschland als der größten Wirtschaftskraft der Europäischen Union kommt dabei eine besondere Rolle zu.

Daher appellieren wir an Sie als Kanzlerkandidatin/-kandidat und rufen Sie auf zu Ehrlichkeit und zu einer konsequent von den Menschenrechten her gedachten Migrations- und Entwicklungspolitik, die die langfristigen Interessen der Menschen im Globalen Süden und Norden ernst nimmt.

  • Stehen Sie auch öffentlich zu der historischen Verantwortung Deutschlands für die Unterstützung des Globalen Südens.
  • Setzen Sie die richtigen Prioritäten und unterstützen Sie die Menschen in den Ländern des Globalen Südens, deren elementare Rechte verletzt werden.
  • Nehmen Sie den menschengemachten Anteil am Klimawandel sowie anderen Überschreitungen der planetaren Grenzen ernst und haben Sie den Mut, die Menschen in unserem Land mit der wissenschaftlich gut begründeten Wahrheit zu konfrontieren, dass wir als Menschheit gerade dabei sind, die Überlebensbedingungen für Millionen und Milliarden Menschen zu gefährden und dass damit auch unser Wohlstand in Gefahr ist.
  • Treten Sie ein für eine Sicht auf Migranten, die nicht auf Probleme fokussiert ist und vielmehr den Menschen und die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt.

Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut und dazu gehören die Übereinstimmung von Werten und wissenschaftlicher Analyse und ein von beidem geleitetes Tun. Als Ordensgemeinschaften stehen wir für eine solche Sicht- und Handlungsweise ein und sind bereit, die notwendige sozial-ökologische Transformation mit unseren Kräften im Dienst der Menschen in unserem Land und in den Ländern des Globalen Südens zu unterstützen.“